Wissenschaft ist eine Form des Denkens und Nachdenkens. Sie ist ein Weg, der durch die Orientierung an bestimmten Kriterien zu mehr und besseren Erkenntnissen führen soll. Bei diesen Kriterien handelt es sich unter anderem um strukturierte Vorgehensweisen sowie um Überprüfbarkeit und Belegbarkeit. Häufig kommen im weitesten Sinne empirische Methoden zum Einsatz, die vor allem im Bereich der Naturwissenschaften prägend sind.
Wenn man sieht, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse und technischen Errungenschaften die Menschheit zustande gebracht hat, erkennt man zwar das gigantische Potenzial von Wissenschaft. Diese offensichtlichen Erfolge können indes dazu führen, Wissenschaft zu überschätzen und ihre mindestens ebenso erheblichen Fehlerquellen zu übersehen.
In «System und Irrtum» geht es um diese Fehlerquellen. Darum beschäftigt sich das Buch u.a. mit folgenden Fragen:
Warum gibt es hartnäckige wissenschaftliche Irrtümer, die sich Jahrzehnte und manchmal sogar Jahrhunderte halten können?
Warum lieferte die Wissenschaft in der Coronapandemie einerseits bahnbrechende Erkenntnisse, aber in anderen Bereichen nur wenig überzeugende Resultate?
Worauf sollte man achten, wenn man substanzielle von irreführenden Studien unterscheiden will?
Wann sind evidenzbasiert und zufallsbedingte Doppelblindstudien (RCT) ein Qualitätslabel – und wann nichts anderes als heiße Luft?
Warum Künstliche Intelligenz (KI) überschätzt wird?
In meinem Buch Darwin schlägt Kant habe ich die Konsequenzen der evolutionären Grundkonstruktion des Homo sapiens und die damit verbundenen Schwachstellen der menschlichen Vernunft dargestellt. Diese Schwachstellen zeigen sich in allen Bereichen, die in irgendeiner Weise mit Menschen zu tun haben. Man sieht sie z.B. in Politik, Wirtschaft, Geschichte, Philosophie, Psychologie und in den Medien.
Manche glauben, in der Wissenschaft laufe es anders. Aber Wissenschaft ist kein Ort objektiver Glückseligkeit. Denn sie ist geradezu der Modellfall vernünftigen Denkens. Das gibt es aber nur als Gesamtpaket. Ein immenses Potenzial inklusive folgenschwerer Risiken und Nebenwirkungen. Darum ist Wissenschaft durch die gleichen Fehlerquellen und Verzerrungsmechanismen geprägt, die untrennbar mit der menschlichen Vernunft verbunden sind. Auch die naturwissenschaftliche Methode ist keine Ausnahme. Ihre besondere Gefahr liegt sogar genau darin, dass sie von vielen als eine solche Ausnahme und als Königsweg zu objektiver Erkenntnis propagiert wird. Genau deshalb kann sie Ausgangspunkt verhängnisvoller und hartnäckiger Fehlbeurteilungen sein.
Heutzutage sieht sich die Wissenschaft aus politischen Kreisen und weltanschaulichen Überzeugungen mit ungerechtfertigten fundamentalen Kritiken konfrontiert. Es droht ein genereller Vertrauensverlust, der teilweise an die abstrusen magischen und abergläubischen Vorstellungen erinnert, die im Mittelalter weit verbreitet waren. Auch darum ist eine sachliche Auseinandersetzung mit Wissenschaft von besonderer Aktualität. Sachlich bedeutet, sich der Grenzen und Fehlermöglichkeiten bewusst zu sein. Nur in diesem Bewusstsein lassen sich umgekehrt die Herausforderungen und das immense Potenzial verdeutlichen, die mit Wissenschaft verbunden sind. Darum befasst sich dieses Buch aus einer nüchternen, wissenschaftlichen Perspektive mit den Gefahren von Wissenschaft. Sie zu kennen, verhindert einerseits, Wissenschaft zu überschätzen, und ermöglicht andererseits, berechtigte Kritikpunkte von dumpfer Wissenschaftsfeindlichkeit unterscheiden zu können.
« …empirische Methoden zum Einsatz, die vor allem im Bereich der Naturwissenschaften prägend …» Meines Erachtens sind gerade die Humanwissenschaften stark empirisch, auf Erfahrung beruhend - man denke zB an die Medizin