Bettina Weber hat in einem Artikel in der Sonntagszeitung zurecht auf ein Thema aufmerksam gemacht, das die Kultur vieler Organisationen schwer belastet. Es handelt sich um Falschbeschuldigungen von Mitarbeitenden, bei denen es um allgemein unangemessene Verhaltensweisen, sexuelle Grenzüberschreitungen, Machtmissbrauch, die unzureichende Förderung unterstellter Mitarbeitender und vieles mehr geht. Die genannten Begriffe können ein Fehlverhalten bezeichnen, vor dem Mitarbeitenden geschützt werden sollten. Sie können aber auch Schlüsselbegriffe sein, mit denen die beschuldigten Personen, ohne dass sie sich etwas zuschulden kommen lassen haben, fertiggemacht werden.
Gründe für solche Falschbeschuldigungen können schlichtes Mobbing, Racheaktionen oder interessengeleiteten Intrigen aus vielerlei Motiven sein.
In vielen Organisationen ist die beschuldigte Person solchen Attacken weitgehend schutzlos ausgeliefert und in der Gefahr, Ihre Reputation und häufig auch die Stelle zu verlieren. Oft ist von Anfang an eine Beweislastumkehr festzustellen, indem man selbstverständlich davon ausgeht, dass an den Vorwürfen schon etwas dran sein wird. Dann geht es nur noch darum, die beschuldigte Person zu überführen. Dabei ist man in den Methoden nicht wählerisch. In der Trickkiste, aus der man sich bedient, sind Konfrontationen mit anonymen Aussagen und interne Untersuchungen, bei denen das Ergebnis von vornherein feststeht, besonders beliebt.
Zwei Faktoren begünstigen Intrigen durch Falschbeschuldigungen. Seit Jahren lässt sich ein gesellschaftlicher Trend beobachten, indem das ehrenwerte Ziel gegen Diskriminierung allerlei Art vorzugehen, längst einen gefährlichen Kipppunkt überschritten hat. Der Kampf gegen vermeintliche Diskriminierungen ist von dogmatischen Eiferern zu einer totalitären Ideologie übersteigert worden. Das führt unter anderem in der gesamten Gesellschaft zu einer Zunahme von Falschbeschuldigungen mit zum Teil dramatischen Folgen für die Betroffenen (ein Thema, in dem ich mich seit einigen Jahren engagiere, weil es noch weitgehend unter dem Radar der Öffentlichkeit, der Medien und der Justiz ist und weil Opfer von Falschbeschuldigungen – so wie selbstverständlich auch die Opfer von tatsächlichen sexuellen Übergriffen - auch Opfer sind).
In vielen öffentlichen Organisationen und privaten Unternehmen prägt diese ideologisch überdrehte Haltung die Organisationskultur. Denn an vielen Orten trifft sie auf hypertrophierte Personal (HR)-, Rechts- und andere Verwaltungseinheiten. Sie haben im Kampf für die gerechte und ehrenwerte Sache ein neues Aufgabenfeld gefunden und sind daher gerne bereit, sich hier mit voller Kraft zu engagieren.
Bettina Weber kritisiert in diesem Zusammenhang ein Urteil des Schweizer Bundesgerichts, das den internen administrativen Untersuchungen kaum irgendwelche Grenzen setzt. Auch ich hätte mir vom Bundesgericht gewünscht, dass es den Gefahren dieser Fehlentwicklung in vielen Organisationen - zum Beispiel durch Absenkung der Schwelle, wann man von einer missbräuchlichen Kündigung sprechen kann - besser Rechnung getragen hätte. Gleichzeitig verstehe ich aber die Grundargumentation des Bundesgerichts, dass im Privatrecht nicht die gleichen Standards wie im Strafrecht gelten können.
Mein Fokus liegt in diesem Thema aber ohnehin gar nicht auf dem Arbeitsrecht, oder allgemein gesprochen, gar nicht im juristischen Feld. Denn es handelt sich um ein gesellschaftliches Problem, das gesellschaftlich bekämpft werden muss. Die Ausweitung des juristischen Prinzips und rechtliche Auseinandersetzungen sind in diesem Sinne nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.
Nachfolgend:
1. Den Artikel von Bettina Weber (als Link und als PDF zum Download)
2. Meine Kommunikation mit Thomas Luchsinger, in der ich meine Position präzisiert habe
1. Artikel Sonntagszeitung, Bettina Weber, 23.07.2024 (als PDF)
2. Artikel Online (Aboschwelle)
3. Kommunikation mit Thomas Luchsinger
Comments