Ich habe mich in den letzten Monaten zweimal zur Corona-Krise geäussert. Mir ist klar, dass nach wie vor viele wichtige Fragen nicht eindeutig geklärt sind und dass es die perfekte Lösung nicht gibt. Auch ist mir bewusst, dass die Verantwortungsträger nicht zu beneiden sind und unter einem sehr großen öffentlichen Druck stehen.
Die Krise akzentuiert viele gesellschaftliche Schwachstellen und lässt sie deutlich sichtbar hervortreten. Für einen angemessenen Umgang mit der Krise braucht es Besonnenheit, ergebnisoffenes Nachdenken, aber auch klare Entscheidungen.
Angesichts sehr vieler milder Verläufe ist es nicht gerechtfertigt, ohne weitere Differenzierung von einer tödlichen Erkrankung oder einem Killervirus zu sprechen. Genauso falsch ist es aber, die Gefahren der Pandemie zu verharmlosen oder gar zu verleugnen. Aber wie immer in solchen Zeiten werden Hitzköpfe angestachelt und gleichermaßen extreme wie absurde Positionen haben Konjunktur. Da ist von Maskendiktatur, Verschwörungen und allerlei anderen abstrusen Dingen die Rede. Man kann nun an allen Ecken und Enden beobachten, wie viele Menschen sich nach klaren, einfachen, absoluten und vor allem für sie selbst bequemen Wahrheiten sehnen. Umso mehr solche Wahrheiten nur für den Preis aufrechterhalten werden können, dass eine Vielzahl von Fakten ignoriert werden, desto stärker scheint eine unumstössliche subjektive Gewissheit zu entstehen, die lautstark und auf Biegen und Brechen vertreten werden will. Querdenken zeichnet sich übrigens durch die Fähigkeit aus, in die Breite, abseits von ausgetretenen Pfaden, unvoreingenommen, flexibel und differenziert denken zu können. Diejenigen, die aktuell unter dem Label «Querdenker» auftreten, repräsentieren das Gegenteil: Eindimensionales, starres Denken in einer vorbestehenden, hermetisch abgeschlossenen, engen dogmatischen Richtung. Das wäre so, als würden sich religiöse Fundamentalisten auf Kant und die Aufklärung berufen. Die aktuellen «Querdenker» sind eben keine Quer-, sondern Verquert-Denker.
Das Potenzial, das mit der menschlichen Vernunft einhergeht, ist in Krisenzeiten stets in der Gefahr unter dem Eindruck wütend anbrandender Emotionswellen an Kraft zu verlieren. Dabei braucht es dieses Potenzial und einen kühlen Kopf in solchen Zeiten mehr denn je.
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